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Deutsche Sprache, schwere Sprache?

Noah, Archetyp der ersten Generation – deutsche Sprache unter der Lupe


Am Anfang war das Wort – so sagt es bereits die Bibel. Wie schön ist es doch für Eltern, wenn das erste Wort aus dem Mund ihres Sprösslings sprießt und sich dann immer weitere Keimlinge herausbilden, die langsam gedeihen und zu ganzen Sätzen austreiben. Doch dieser Sprachbaum will gegossen und gepflegt werden, sonst verkümmert er oder geht sogar ganz ein.

Das Rindfleischettikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz

Gerade die deutsche Sprache mit ihrer Grammatik bietet so viele Facetten und Geheimnisse, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. In welcher anderen Sprache gibt es so faszinierende Wörter wie das Rindfleischettikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz oder die Vermögenszuordnungszuständigkeitsübertragungsverordnung? Welcher Gesetzgeber geht bei solch überaus omnipotenten Komposita nicht gerne zur Arbeit, um sich immer längere und unübersichtlichere Bandwurmgesetze und -verordnungen auszudenken, die in der Bevölkerung zugleich auf Erstaunen und Bewunderung treffen?

Noah – ein Archetyp der ersten Generation

Doch in Bezug auf die deutsche Sprache kommt es immer wieder auch zu Missverständnissen seitens der Verbraucher: So ist, wenn man von einem Aufschneider redet, meist nicht die Rede vom Chirurg, der Neurochirurg ist (zumindest im wörtlichen Sinne) keine Nervensäge und die Innovationsbremse meint kein genmanipuliertes Stechinsekt. Auch könnte man fälschlicherweise annehmen, der Menschenauflauf sei die Leibspeise des Kannibalen oder die Selbstentfaltung habe etwas mit einer eigenhändigen Schönheitsoperation zu tun. Des Weiteren sollte man, wenn von einem Archetyp die Rede ist, nicht zuerst an Noah denken und Axel Springer meint auch keine Schulterluxation, obwohl das vielleicht das kleinere Übel wäre. Außerdem ist der Kaukasus ebenso wenig ein Fall des Deutschen, wie der Genitiv eine Warnung für Tauchanfänger.

Chirurg

Sind alle Chirurgen Aufschneider? Copyright: Judith Bakeart

Falsch, falscher, am falschesten – deutsche Grammatik für alle Fälle

Doch um beim leidigen Thema zu bleiben: Wessen Tod ist der Dativ? – Des Genitivs sein Tod? Haben wir jetzt endlich alles richtig gemacht? Ist denn der Dativ nicht manchmal wirklich leichter als wie der Genitiv? Leider ja, aber auch falscher. Auch Sprachkritiker hatten das schon gesagt gehabt mit dem Dings und dass es der deutschen Sprache schlecht geht und dass der Genitiv tot ist. Tot, toter, am totesten! Zusammen mit dem Konjunktiv wurde er mit brennenden Fackeln aus dem Dorf getrieben und in Brand gesteckt. Die Wiederbelebungsversuche einiger Grammatikfundamentalisten blieben erfolglos.

Denn wenn alle den gleichen Fehler machen, ist es dann noch ein Fehler? Die Sprache befindet sich im Wandel und was heute noch vom Rotstift unterstrichen, umkringelt oder angemalt wird, könnte morgen schon systematisiert sein. Eingestampft im Einheitsbrei der deutschen Sprache. Vereinfacht, gekürzt, wegrationalisiert. Und wenn Hans Christian Andersen sich im Grab umdreht, weil wir sein Meisterwerk in „Dem Kaiser seine neuen Kleider“ umbenennen, dann ist das ja nicht unser Problem.

Theodor Shitstorm is watching us

Doch nicht nur von innen nagt der Holzwurm an der deutschen Sprache. Die weitaus größere Bedrohung scheint von außen auf uns überzuschwappen. Von dem Tsunami aus Anglizismen, Gallizismen oder Vandalismen werden wir gnadenlos überrollt. Und wie finden wir das? Wir „rofln“ was das Zeug hält und „leaken“, „liken“ oder „shitstormen“ uns zu Tode. Denn in Zeiten, in denen jeder Hipster mindestens ein Tablet besitzt und Crowdfunding kein altdeutsches Kohlgericht ist, wird nur noch „geshared“, „gepostet“ und „getwittert“ statt geredet, erörtert und zur Diskussion gestellt. Wer sich heutzutage noch der Social-Media-Society entzieht und vielleicht nicht einmal eine eigene Facebookpage besitzt, der ist hashtag oldschool!

Deutsche Sprache

Englische Wörter werden zum immer größeren Bestandteil des deutschen Wortschatzes. Copyright: Judith Bakeart

Baguette oder Stangenbrot?

Und wenn man richtig etwas auf sich hält, dann genießt man als Amuse-Gueule eine Bouillabaisse mit Baguette im Séparée des Restaurants, statt sich seinen Gaumen mit Fischsuppe und Stangenbrot im Nebenzimmer des Wirtshauses schmeicheln zu lassen. Doch warum machen wir das? Warum lassen wir die deutsche Sprache verkommen zu einem Flickenteppich aus Lehnwörtern? Weil es in Zeiten der Globalisierung unumgänglich ist? Wollen wir auf diese Weise unsere Gastfreundschaft unter Beweis stellen? Doch ist es gastfreundlich, wenn wir einen Engländer zum Public Viewing einladen, obwohl damit in seiner Sprache eine öffentliche Leichenschau gemeint ist?

Let’s go to Rectal Town!

Was ist ansonsten der Grund für die steigende Zahl der Anglizismen? Vielleicht ein Versuch, unsere Mitmenschen mit Fremdwörtern zu imprägnieren, da wir hochkulturell und gebildet erscheinen wollen? Verstecken wir unsere Unsicherheit hinter Wörtern, die wir vielleicht selber nicht einmal richtig verstehen? Wer würde nicht manchmal gerne flüchten, weil er nur noch railstation versteht? Doch neben der Polemik dieses Themas, darf man auch die Komik nicht außer Acht lassen. Denn bei Übersetzungen wie Raw Stick für Rostock, Rectal Town für Darmstadt oder Bathroom Rich Echo für Bad-Reichenhall muss wohl jeder noch so sprachaffine Deutsche schmunzeln.

Die deutsche Sprache im Wandel

Was ist überhaupt so schlimm an ein paar kleinen Veränderungen? „Weh mir, warum ist mîn Herzelîn so schwer?“, frug ich mich und buk den altdeutschen Butterkuchen. Dieser Satz birgt nicht nur zahlreiche düstere Assonanzen, die weder auf die depressive Verstimmung des lyrischen Ichs verweisen noch einen drohenden Untergang heraufbeschwören sollen, sondern er zeigt auch deutlich, dass die deutsche Sprache sich schon gewandelt hat und sich auch weiterhin im Wandel befindet. Das soll kein Freifahrtschein sein, sich von nun an nicht mehr an die Regeln der Rechtschreibung und Grammatik halten zu müssen, denn der Sprachwandel ist ein langwieriger Prozess. Konrad Duden soll sich nicht umsonst die Arbeit gemacht haben, die deutsche Sprache zu normieren. Momentan lautet der Imperativ von „werfen“ eben „wirf“ und alles andere ist schlichtweg falsch!

Sprachwandel

Die deutsche Sprache befindet sich im Wandel. Copyright: Judith Bakeart

Deutsche Sprache, schöne Sprache

Doch erst die zahlreichen Dialekte, Akzente oder auch Sprachfehler machen unsere Sprache so vielfältig wie sie heute ist. All die Regeln, Ausnahmen und Feinheiten verleihen der Sprache ihre Besonderheit. Und dabei beherrschen die wenigsten unter uns sie perfekt. Nur wer viel liest, spricht und aufmerksam ist, behält den Überblick im deutschen Grammatik-Dschungel.

 

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